No. 4: Wenige Tage - große Wirkung

von Thomas Freiberger

Wenige Börsentage sind für die Rendite verantwortlich

Aktienmarkt_Börsentage

 

"Of the countless strategies that academics and practitioners have devised to generate alpha, market timing seems to be one very unlikely to succeed. Much like going to Vegas, market timing may be an entertaining pastime, but not a good way to make money.”

Prof. Javier Estrada, IESE Business School, Barcelona, The Journal of Investing, 2008
 

“Before reaching for that crutch (market timing), face up two unpleasant facts: The future is never clear and you pay a very high price for a cheery consensus. Uncertainty actually is the friend of the buyer of long-term values.”

Warren Buffett, Forbes magazine, 6. August 1979
 

„Es hat sich gezeigt, dass auch professionelle Marktakteure, Fondsmanager ebenso wie Analysten, nicht dauerhaft Market Timing betreiben können. Eine passive Anlagestrategie mit fester Gewichtung der unterschiedlichen Anlageklassen ist dem Market Timing auf lange Sicht stets überlegen.“

Prof. Martin Weber, Lehrstuhl für ABWL, Finanzwirtschaft insbesondere Bankbetriebslehre, Universität Mannheim, Market Timing, Reihe Forschung und Praxis, 2009
 
 
Im Januar 1697 entdeckte der niederländische Forschungsreisende Willem de Vlamingh an der australischen Westküste einen schwarzen Schwan. Dieses einzelne Ereignis änderte das Denken, das über Jahrhunderte die westliche Welt bestimmt hatte: Es wurde als unmöglich erachtet, dass auch schwarze Schwäne existieren könnten. Auf einmal musste eine bisher als sicher geltende Tatsache mit großer Wirkung geändert werden: Schwäne können weiß oder schwarz sein. Im Nachhinein war die Tatsachenänderung jedoch einfach naturwissenschaftlich erklärbar.
 
Nassim Nicholas Taleb (1) hat den Begriff des Schwarzen Schwans (black swan) als Metapher für sehr hohe Schwankungen an den Finanzmärkten, aber auch für andere Lebensbereiche geprägt. Es ist ein Ereignis als Ausreißer aus dem Bereich der bisher für möglich gedachten Ereignisse. In der Vergangenheit deutete bisher nichts überzeugend auf eine mögliche Eintrittswahrscheinlichkeit dieses Ereignisses hin. Weiterhin besitzt der Schwarze Schwan eine große Auswirkung. Drittens, nach dem Ereignis ist sein Entstehen plausibel und logisch erklärbar. Nun, warum beschäftigen wir uns in unserem Brief mit Schwarzen Schwänen? In einer wissenschaftlichen Veröf-fentlichung (2) untersuchte Prof. Javier Estrada die Bedeutung von Schwarzen Schwänen für die Wertentwicklung von Wertpapieranlagen.

„Die Ergebnisse sind erstaunlich und für das Investieren bedeutsam!"

Die Untersuchung erforschte, ob Anleger ihre Rendite gemächlich über den Zeitablauf erreichen oder ob nur wenige Tage wesentliche Teile der Rendite bestimmen. Ebenso sollte die Wahrscheinlichkeit gefunden werden, ob Anleger erfolgreich die besten oder schlechtesten Tage an den Börsen vorhersagen können. Mit diesen Erkenntnissen sollte abschließend eine Meinung zur Anlagestrategie des sog. Market Timing abgegeben werden (Market-Timing: im weiteren Sinne die aktive Änderung der relativen Aufteilung zwischen sicheren Anlagen und unsicheren Anlagen (Aktien) mit dem Ziel, eine möglichst immer positive Rendite zu erzielen). Es wurden mehr als 160.000 Tagesschwankungen 15 internationaler Aktienmärkte untersucht. Eine Zeitreihe betraf den Dow Jones Industrial Average Index (Dow Jones) von 1900 bis 2006. Eine weitere Zeitreihe bezog sich auf internationale Aktienindices von 15 Ländern. Die kürzeste Zeitreihe war in Thailand mit 31 Jahren und die längste in den USA mit 79 Jahren. Die internationalen Aktienindices wurden weiterhin in einer kürzeren Zeitreihe, von 1990 bis 2006, beobachtet. Um die Bedeutung von Schwarzen Schwänen für die Wertentwicklung der jeweiligen Indices zu zeigen, wurden aus allen Zeitreihen jeweils die größten Tagesschwankungen entfernt. Danach verglich man die Auswirkung auf die gesamte Wertentwicklung.
 
Bei Entfernen der 10, 20 und 100 besten Tagesschwankungen aus dem Dow Jones für den Zeitraum 1900 bis 2006 verringerte sich die Rendite (mean annual compound rate) von 5,3% auf 4,3%, 3,6% und -0,2%. Die Rendite erhöhte sich auf 6,4%, 7,2% und 11,5%, wenn man die 10, 20 und 100 schlechtesten Tagesschwankungen vermieden hätte. Der Renditeeffekt, der durch das Vermeiden der besten oder schlechtesten Tagesschwankungen entsteht, ist gewaltig. Bei Verpassen der 100 besten Tage wäre das Endergebnis wäre um 99,7% niedriger, bei Vermeiden der 100 schlechtesten Tage um sagenhafte 43.396,8% größer. Bei diesen Effekten wäre Market - Timing die Strategie! Leider liegen die relativen Wahrscheinlichkeiten die 10, 20 und 100 besten oder schlechtesten Tage zu treffen bei 0,03%, 0,07% und 3,43%. In diesem langen Zeitraum von 106 Jahren waren 100 Tage für die gesamte Performance verantwortlich.

„100 Tage waren für die gesamte Performance in 106 Jahren verantwortlich!"

Die gleiche Untersuchung wurde für verschiedene internationale Indices durchgeführt. Bei Entfernen der 10, 20 und 100 besten Tagesschwankungen verringerte sich die Rendite aller Indices in der Summe von 8,2% auf 6,3%, 4,8% und -2,8%. Die Rendite erhöhte sich auf 10,7%, 12,3% und 21,8%, wenn man die 10, 20 und 100 schlechtesten Tagesschwankungen vermieden hätte. Die Wahrscheinlichkeiten der 10, 20 und 100 größten Tagesschwankungen lagen bei 0,10%, 0,20% und 1,00%. Das Verpassen der 100 besten Tage verringerte den Vermögensendwert um 97,7%. Sofern die Untersuchung der internationalen Indices auf den Zeitraum 1990 bis 2006 verkürzt wurde, waren die Untersuchungsergebnisse folgendermaßen: Bei Entfernen der 10, 20 und 100 besten Tagesschwankungen verringerte sich die Rendite von 5,5% auf 1,9%, -0,6% und -13,6%. Die Rendite erhöhte sich auf 9,4%, 12,3% und 30,5%, wenn man die 10, 20 und 100 schlechtesten Tagesschwankungen vermieden hätte. Die Wahrscheinlichkeiten der 10, 20 und 100 größten Tagesschwankungen lagen bei 0,23%, 0,47% und 2,34%. Ebenso wurde in diesem Fall untersucht, wie weit die größten Tages-schwankungen von der „normalen“ Bandbreite der Renditestreuung entfernt waren.
 
Allein die 10 größten positiven und negativen Schwankungen im Zeitraum von 1990 bis 2006 waren 5 Standardabweichungen vom Durchschnitt entfernt (zur Erläuterung: ca. 68% aller erwarteten Renditen liegen in einer errechneten Streuung von einer Standardabweichung nach oben und unten von einem erwarteten Renditemittelwert). Sofern man eine „normale“ Verteilung der Renditeereignisse unterstellt, dürften Ausschläge in dieser Größenordnung nur mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,0000287% auftre- ten oder anders formuliert ein Renditeausschlag in dieser Größenordnung nur einmal in 3.488.555 Handelstagen. Und nun stellen Sie sich vor, dass zwischen 1990 und 2006 nur 10 Handelstage die Wertentwicklung von 1,9% auf 5,5% hoben, d. h. Ihr Portfolio war nach Verpassen von nur 10 Tagen um 43,3% niedriger. Diese 10 Tage hatten eine Eintrittswahrscheinlichkeit von nur 0,23%!

„Heftige Schwankungen an den Aktienmärkten gehörten schon immer zum Wesen dieses Marktes!"

Über die Erkenntnisse von Prof. Estrada hinaus untersuchten wir einen jüngeren Zeitabschnitt, von 2001 bis 2011. Wir betrachteten die Tagesschwankungen des Stoxx Global Total Market mit 8.448 einzelnen Aktien. Damit kommen wir dem Investmentuniversum, das wir im Aktienbereich für unsere Mandanten verwenden, ca. 11.200 Titel, sehr nahe. Von 2001 bis 2011 hätte eine 100% Investition in diesen Index vor Kosten eine Rendite von 5,03% p.a. erzielt. Durch Verpassen der 5 oder 10 besten Tage wäre die Rendite auf 1,35 bzw. -1,5% gefallen.
 

Diese Tage stellten nur 0,20% bzw. 0,40% aller Handelstage dar. Weiterhin verglichen wir die Verteilung der Tagesrenditen mit den Renditen, die man bei Annahme einer Normalverteilung annehmen könnte.

 

 
Die Zahl der Tage, an denen die Aktienmärkte wenig schwanken, ist höher als man bei Normalerteilung annehmen könnte. Jedoch wird diese vermeintliche Langeweile an den Aktienmärkten durch wesentlich mehr Schwarzen Schwänen unterbrochen als man theoretisch vermuten könnte. Heftige Schwankungen an den Aktienmärkten gehörten schon immer zum Wesen dieses Marktes.

"Schwarze Schwäne sind nicht vorhersehbar und für die Performance von entscheidender Bedeutung!"

Die Schlussfolgerungen der Studie sind:
 
Der Zeitpunkt und die Häufigkeit des Auftretens Schwarzer Schwäne, unvorhersehbare große Tagesschwankungen der Aktienkurse, sind nicht vorhersehbar. Schwarze Schwäne finden an sehr wenigen Tagen statt und sind für die Performance von entscheidender Bedeutung. Ein Wertpapierportfolio sollte auf die Existenz von Schwarzen Schwänen abgestimmt werden. Globale Diversifikation, ein abgestimmter Anteil guter und sehr guter festverzinslicher Wertpapiere und eine begleitende Investmentplanung, die Ihre individuelle Risikotragfähigkeit und Zeithorizonte berücksichtigt, können die Auswirkungen negativer Schwankungen verringern und zugleich die Teilhabe an positiven Schwankungen erhalten. Market Timing, das Suchen des besten Zeitpunktes zum Kauf oder Verkauf von Anlagen, hat eine extrem niedrige Erfolgschance. Es ist die Verliererstrategie. Die Gefahr positive Schwankungen zu verpassen, indem man versucht, negative Tage zu vermeiden, ist unvergleichlich größer als wenn man dauerhaft im Markt investiert bleibt (long-term-buy-and-hold).
 
Wir empfehlen:
 
Anleger ernten den Erfolg ihres Wertpapierportfolios nicht gemächlich über die Zeit. Stattdessen ist der Erfolg das Ergebnis von unvorhersehbaren Krisen und Euphorie. Diese Ereignisse finden an wenigen Tagen statt. Die Wahrscheinlichkeit eine erfolgreiche Prognose abzugeben, rechtzeitig aus dem Markt ein-oder auszusteigen, ist sehr gering. Die Gefahr ist groß, nicht im Markt zu sein, wenn eine positive Bewegung stattfindet. Die Jäger unter Ihnen wissen dies, wenn sie auf ihrem Beobachtungsstand im Wald sitzen und sitzen....Die Gewinnerstrategie ist zu akzeptieren, dass die zukünftige Entwicklung der Märkte nicht vorhergesehen werden kann. Das Wissen über Schwarze Schwäne sollte im individuellen Investmentplan eingearbeitet werden. Zusätzlich ist eine globale Diversifikation wichtig. Ihr breit gestreutes Aktienportfolio muss in einer festen relativen Gewichtung mit festverzinslichen Wertpapieren bester Qualität verbunden sein. Das hilft, die Schwankungen auf das von Ihnen individuell annehmbare Niveau zu führen. Und nicht zuletzt sollten Sie mit Ihrem Vermögensverwalter einen Partner auf Ihrer Seite haben, der den mit Ihnen erarbeiteten Investmentplan diszipliniert durchführt und beibehält. Interessanterweise ist die Performance von Anlegern, die einen Ausgabeaufschlag für den Kauf eines Investmentfonds bezahlen, höher als wenn sie keinen bezahlen. Denn Anleger mit Investmentfonds ohne Ausgabeaufschlag neigen zum häufigen Kaufen und Verkaufen. Deshalb hat ein Vermögensverwalter, der mit Ihnen Market-Timing vermeidet, einen positiven Mehrwert für Ihr Vermögen.
 
Der Autor der Studie schließt:
„.....market timing may be an entertaining pastime, but not a good way to make money.”
 
Literaturhinweise:
 
(1) Taleb, Nassim Nicholas: The Black Swan: The Impact of the Highly Improb-able, Random House, 2007
(2) Estrada, Javier: Black Swans and Market Timing: How Not To Generate Alpha, The Journal of Investing, Herbst, 2008

 

Datum der ersten Veröffentlichung: 09.04.2013

Datum der Aktualisierung: 28.02.2014

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