No. 24: Zinsen und Anleihen

von Thomas Freiberger

Steigende Zinsen? Keine Anleihen?

 

So wie eine gute Fußballmannschaft Stürmer und Torwart benötigt, braucht ein gutes Wertpapierportfolio Aktien und Anleihen.

Ein gutes Wertpapierportfolio entsteht aus einem vernünftigen Teamspiel offensiver und defensiver Bausteine. Die einzelnen Bausteine eines Portfolios – Aktien und Anleihen – sind folglich nicht isoliert, sondern immer auf ihre Kombinationsfähigkeiten zu betrachten.

Anleihen als Torwart eines Wertpapierportfolios haben nicht die Aufgabe Tore zu schießen. Sie sorgen für Ruhe und Stabilität und dämpfen die Schwankungsanfälligkeit des Aktienanteils. Tore, also eine höhere Rendite, sollten dagegen die Stürmer, sprich Aktien, erzielen.

Dies erläuterten wir bereits in unserem VV-Brief No. 22 „Enteignung der Sparer“.

Doch, die aktuellen nominalen Zinsen sind historisch niedrig, ja sogar negativ! Was passiert, wenn die Zinsen wieder ansteigen? Fallen dann nicht die Anleihekurse? Sollte ein Anleger Anleihen deshalb meiden?

Auf diese Fragen geht unser VV-Brief No. 24 ein.

Unsere Analyse beginnt mit etwas Anleihe-Finanzmathematik. Wir stellen eine Daumenregel vor, die hilft, das Verhalten von Anleihen bei einem Zinsanstieg zu beurteilen.

Ein finanzmathematischer Teil für Leser, die eine Herleitung unserer Aussage und Rechenherausforderungen suchen, schließt den Brief.

Wir kommen zu folgendem Ergebnis:

Ein Zinsanstieg ist kein Grund, auf Anleihen in einem Wertpapierportfolio zu verzichten!

"Ein Zinsanstieg ist kein Grund, auf Anleihen zu verzichten!"

Im Vergleich zu anderen Anlageklassen, wie Aktien, besitzen Anleihen guter bis sehr guter Bonität ein einmaliges Chance-/Risikoprofil:

Unabhängig vom jeweiligen Kursniveau der Anleihen steht bereits heute der zukünftige Zahlungsstrom aus Zinsen fest. Dagegen sind Dividenden aus Aktienanlagen ungewiss - Dividenden können steigen, fallen oder ausfallen.

Ein Zinsanstieg verursacht zwei gegenläufige Kurs– und Zinseffekte:(1)

1) Die Anleihekurse fallen und zwar um so viel, dass das neue Verhältnis aus zukünftigen Zinseneinnahmen zu den gefallenen Anleihekursen dem höheren Zinsniveau entspricht.

2) Im Unterschied zu Dividendenzahlungen stehen die zukünftigen Zinseinnahmen bereits heute fest. Da die Anleihekurse fallen, die zukünftigen Zinsen also auf niedrigere Kurse gezahlt werden, steigt die erwartete Rendite.

Der Zeitpunkt oder der Anlagehorizont, zu dem sich diese gegenläufigen Bewegungen ausgleichen, wird auch als mittlere gewichtete Anleihelaufzeit oder Duration bezeichnet.

Anlegern dient die Duration als Daumenregel.(2)

Sie besagt:

1) Wenn das allgemeine Zinsumfeld um 1% Prozentpunkt innerhalb einer Zeitspanne ansteigt, dann wird der Kurs einer Anleihe oder eines Anleihefonds ungefähr um die Prozentgröße ihrer Duration fallen.

2) Die Duration entspricht der Haltedauer, bis Anleihen Kursverluste aus einem Zinsanstieg mit höheren zukünftigen Renditen wieder ausgleichen.

3) Um sein Anleiheportfolio vor Verlusten zu schützen, sollte ein Anleger folglich eine Haltedauer für seine Anleihen wählen, die mindestens seinem Anlagehorizont entspricht.

Im folgenden technischen Teil unseres Briefes berechnen wird die Wirkung eines Zinsanstiegs von 1% und 3% innerhalb eines Jahres. Dabei gehen wir von einem fiktiven Anleiheportfolio guter bis sehr guter Bonität aus. Die  Startrendite  beträgt -0,15% bei einer Duration von 3,50:

Wir zeigen, dass unabhängig eines Zinsanstiegs von 1% oder 3%, die Anleihekursverluste nach dreieinhalb Jahren Haltedauer wieder aufgeholt werden. Ein Anleger, der unsere Grundregel „Anlagehorizont größer Duration“ beachtet, verbessert nach vier Jahren seine Rendite. Der Zinsanstieg war positiv!

"Ist die Haltedauer eines Anleiheportfolios länger als Duration, erhöht ein Zinsanstieg die Rendite!"

Die Schlussfolgerungen für einen Anleger lauten:

  1. Prognosen über Zinsänderungen sind zufällig richtig oder falsch.
  2. Anleihen ergänzen Aktien als unverzichtbarer Bestandteil eines guten Wertpapierportfolios. Darin dämpfen Anleihen die Kursschwankungen von Aktien auf die individuelle Risikotragfähigkeit unserer Anleger. Ebenfalls ermöglichen Anleihen guter Bonität ein Re-Balancing(3), was die Schwankungsintensität senkt, ohne die Rendite des Portfolios zu verringern.
  3. Ein Zinsanstieg führt zu Kursverlusten bei Anleihen. Deshalb sollte die mittlere gewichtete Laufzeit aller Anleihen (Duration) unter dem individuellen Mindestanlagehorizont eines Anlegers liegen. Dann erhöht ein Zinsanstieg sogar die zu erwartende Rendite – unabhängig ob das aktuelle Zinsniveau als hoch oder niedrig eingeschätzt wird und unabhängig von jeder Zinsprognose.

 

Technischer Teil:

Wir verwenden ein fiktives Anleiheportfolio guter bis sehr guter Bonität. Die  Startrendite  beträgt -0,15% bei einer Duration von 3,50.

Nehmen wir an, die Zinsen steigen innerhalb von zwölf Monaten um 1%. In einem Jahr beträgt das neue Zinsniveau 0,85% (=-0,15% + 1%), wobei die Anleihen um 3,50% (= Duration 3,50 x Zinsänderung 1%) im Wert fallen. Die erwartete Gesamtrendite über diesen Ein-Jahreszeitraum setzt sich aus dem Durchschnitt der End- und Anfangsverzinsung ((0,85% -0,15%)/2 = 0,35%)) und dem Kursverlust in Höhe von -3,50% zusammen und ergibt –3,15%. Aufgrund des 1%-Zinsanstiegs wird die erwartete Rendite unserer Anleihen auch in den Folgejahren 0,85% betragen. Nach einer dreieinhalbjährigen Halteperiode wird unser Anleihebestand die notwendige Haltedauer erreichen, um die Verluste ausgleichen. Ab dem vierten Jahr ergibt sich sogar eine höhere jährliche Gesamtrendite in Höhe von 0,04% als heute:

 

Doch was passiert bei einem sehr heftigen Zinsanstieg?

Nehmen wir an, die Zinsen steigen innerhalb von zwölf Monaten um 3%. In einem Jahr beträgt das neue Zinsniveau 2,85% (=-0,15% + 3%), wobei die Anleihen um 10,50% (= Duration 3,50 x Zinsänderung 3%) im Wert fallen. Die erwartete Gesamtrendite über diesen Ein-Jahreszeitraum setzt sich aus dem Durchschnitt der End- und Anfangsverzinsung ((2,85% -0,15%)/2 = 1,35%)) und dem Kursverlust in Höhe von –10,50% zusammen und ergibt –9,15%. Aufgrund des 3%-Zinsanstiegs wird die erwartete Rendite unserer Anleihen auch in den Folgejahren 2,85% betragen.

Nach einer dreieinhalbjährigen Halteperiode wird unser Anleihebestand die notwendige Haltedauer erreichen, um die Verluste ausgleichen. Ab dem vierten Jahr ergibt sich sogar eine höhere jährliche Gesamtrendite in Höhe von 0,33% als heute:

 

Unter sonst gleichen Bedingungen (parallele Verschiebung der Zinssstrukturkurve, Konstanz der Duration und keine Zinsänderungen in den folgenden Jahren) bestimmt die Duration den Verlustzeitraum eines Anleiheportfolios.

Unabhängig von der Höhe eines Zinsanstiegs werden die Verluste aus fallenden Anleihekursen nach Ablauf der Haltedauer, die sich durch die Höhe der Duration bestimmt, wieder aufgeholt. Nach der Haltedauer verbessert sich sogar die Rendite.

 

Anmerkungen:

(1) Görg, Andreas: Grundlagen der Finanzmathematik und Statistik, Kompendium bankbetrieblicher Anwendungsfelder, Herausgeber: Frankfurt School of Finance & Management, S. 65, 2006

(2) Diese Daumenregel als Näherungsregel greift nur, wenn sich die Zinsstrukturkurve über alle Laufzeiten parallel verschiebt. Weiterhin wird angenommen, dass während der Anleihelaufzeit die Duration gleich bleibt und keine weiteren Zinsänderungen in den folgenden Jahren erfolgen. Um unsere Erklärungen einfach zu halten, gehen wir von diesen Annahmen aus. Selbstverständlich ist die Wirklichkeit vielschichtiger und sind unsere Annahmen nur zufällig richtig.

(3) Was ist Re-Balancing? Als Vermögensverwalter vereinbaren wir mit unseren Mandanten eine Risikogewichtung aus Aktien und Anleihen, beispielsweise 50% Aktien und 50% Anleihen. Im Zeitablauf ändert sich diese Gewichtung durch Kursveränderungen der Aktien und Anleihen. Durch Käufe und Verkäufe stellen wir die ursprüngliche Risikogewichtung aus Aktien und Anleihen wieder her. Nur wenn Anleihen guter Bonität Bestandteil eines Portfolios sind, kann ein Re-Balancing durchgeführt werden.

 

Literaturhinweise:

Vanguard: Risk of loss: Should the prospect of rising rates push investors from high-quality bonds?, Vanguard Research, July 2013

 

Datum der ersten Veröffentlichung: 05.12.2016; 20:15h

Datum der Aktualisierung: 05.12.2016

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