No. 38: Vermögensaufbau versus Vermögenserhalt
von Thomas Freiberger
Ist die Strategie, Vermögen aufzubauen, auch die erfolgsversprechende Strategie, Vermögen zu erhalten?
„Dem anwachsenden Vermögen folgt die Sorge."
- Horaz, römischer Dichter, 65 v. Chr. - 8 v. Chr. -
Vor über 100 Jahren empfahl der erfolgreiche Unternehmer Andrew Carnegie, alle Eier in einen Korb zu legen. „Die größten Erfolge entstehen durch Vermögenskonzentration“, stimmte ihm Benjamin Graham, Warren Buffetts Mentor, zu.
Und tatsächlich: Beinahe alle reichen US-Amerikaner können ihr Vermögen auf nur ein Unternehmen zurückführen:
Die Forbes-Rangliste der 400 reichsten US-Amerikaner ist seit ihrer Erstveröffentlichung 1982 durch Vermögenskonzentration geprägt. Allerdings schafften es nur 64 der 400 ursprünglichen Mitglieder, also 16 Prozent, im Jahr 2002 erneut auf die Liste der reichsten Personen. Es lag nicht an zu geringen Renditen. Das durchschnittliche Mitglied der 1982er-Liste hätte jährlich nur 4,5 Prozent erwirtschaften müssen, was in diesem Zeitraum, in dem einfache Bankeinlagen mehr als diese Mindestrendite und der Aktienmarkt im Schnitt 13,2 Prozent erzielten, leicht möglich gewesen wäre. Frühzeitiges Umsteuern, Verkauf konzentrierter Vermögenswerte und eine breite Streuung hätten Vermögen erhalten.
Das hohe Risiko einer Einzelaktie kann zwar zu lotterieähnlichen Renditen führen, birgt aber viel größere Verlustrisiken. Konzentriertes Anlegen ist eines der riskantesten Anlagestrategien. Es ist wahrscheinlich auch äußerst unklug, denn sobald man über ein ausreichendes Vermögen verfügt, um einen komfortablen Lebensstil zu führen, sinkt der Grenznutzen des Vermögens gegen Null. Mehr Vermögen ist zwar immer besser als weniger, aber jeder zusätzliche Vermögenszuwachs verbessert das Leben nicht wesentlich.
Viele Investoren ziehen einen ungewissen wirtschaftlichen Totalverlust einer Steuerpflicht vor und zögern die notwendige Diversifizierung ihrer konzentrierten Aktienbestände hinaus. Wie der Nobelpreisträger Daniel Kahneman in seinem Buch „Thinking, Fast and Slow“ feststellte: „Menschen werden risikofreudig, wenn alle ihre Optionen schlecht sind."
Zusätzlich erschweren noch andere Faktoren die Entscheidung, wie mit konzentrierten Aktienpositionen umzugehen ist: rationale (Insiderwissen) und irrationale (Illusion von Sicherheit durch Vertrautheit und sentimentaler Bezug zu einem Unternehmen).
Anleger sollten zwischen zwei sehr unterschiedlichen Risikoarten unterscheiden:
Ein gutes Risiko ist ein Risiko, für das der Markt entschädigt: Da Aktien riskanter als festverzinsliche Anlagen sind, verspricht er eine höhere erwartete (nicht garantierte) Rendite in Form einer Risikoprämie. Das Risiko besteht darin, dass die erwarteten Erträge nicht eintreten. Das Risiko des Aktienbesitzes kann nicht wegdiversifiziert werden kann, weshalb wir es auch systematisches Risiko nennen.
Gesamtes Risiko einer einzelnen Aktie
Andererseits gibt es Risiken, die besonders für einzelne Unternehmen gelten. Die Konzentration auf wenige Einzelwerte und Branchen belohnt der Kapitalmarkt nicht mit einer entsprechend höheren systematischen (also nicht-zufälligen) Rendite. Eine Risikoverteilung auf sehr viele Aktien wäre mit einem geringen Mehraufwand möglich, womit Sie das unsystematische Risiko wesentlich senken. Allenfalls erhalten Sie eine spekulative (zufällige) Mehrrendite.
Eine breite Diversifikation über sehr viele Aktien - am besten in einem Weltportfolio - verringert das Ausfallrisiko einer einzelnen Aktie und senkt nicht die zu erwartende, systematische Rendite. So verringern Sie den Einfluss von zufälligen Entwicklungen einzelner Wertpapiere auf Ihr Vermögen.
Wir empfehlen: Die Strategie ein Vermögen aufzubauen – sei es durch Ihre Arbeitskraft oder Unternehmertätigkeit -, unterscheidet sich von der Strategie, Ihr Vermögen zu erhalten.
Legen Sie nicht alle Eier in den gleichen Korb!
Datum der ersten Veröffentlichung: 13.06.2023, 17:00h
Datum der Aktualisierung: 13.06.2023
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