No. 18: Börsenweisheiten

von Thomas Freiberger

Sell in May and go away!

Börsenweisheiten_im_Check

 

Börsenweisheiten gibt es viele. Doch wieviel Wahrheit steckt in solchen Sprüchen? Was sagt die moderne Kapitalmarktforschung dazu?

 

Börsenweisheit: Lege nie alle Eier in einen Korb

Richtig!

Die Streuung oder Diversifikation eines Wertpapierportfolios ist das wichtigste und ein kostenloses Instrument zur Senkung von Risiken.

Begründung:

Risiken zeigen sich vor allem in der Schwankungsintensität eines Portfolios. Das Risiko von einzelnen Aktien, Branchen oder Ländern kann durch Streuung verringert werden. Trotz Streuung bleibt allerdings immer das Risiko von Aktien gegenüber einer Anlage in einer kurzfristigen Bundesanleihe übrig. Dieses Restrisiko kann nicht wegdiversifiziert werden. Streuung erhalten Sie mit modernen passiven Fonds kostenlos. Deshalb erhöht der Verzicht auf Streuung das Risiko, ohne dass der Anleger mit einer höheren erwarteten Rendite belohnt wird.

Sowohl die Aufteilung in risikoreiche Anlagen, wie Aktien, und in risikoarme Anlagen, wie Anleihen guter Bonität, als auch die Anzahl der Aktien verbessern die Streuung.

Eine sehr gute Streuung eines Wertpapierportfolios erkennen Sie an einer vielfältigen Zusammensetzung der als systematisch erkannten Risikofaktoren eines Wertpapierportfolios:

Sensitivität auf den Aktienmarkt (Beta), Unternehmensgröße (Small-Cap versus Large-Cap), Unternehmensbewertung (Value versus Growth), direkte Profitabilität, Zinslaufzeit (kurz versus lang), Bonität und Momentum.

 

Börsenweisheit: The Trend is your friend

Richtig!

Aktien, die in der Vergangenheit eine bessere (schlechtere) Wertentwicklung relativ zu anderen Aktien aufwiesen, tendieren nachweislich dazu, diese bessere (schlechtere) Wertentwicklung auch zukünftig zu zeigen. Diese Erscheinung wird als Momentum bezeichnet. Momentum ist für kurze Zeiträume zwischen zwei Monaten und einem Jahr nachweisbar. Momentum findet sich in einzelnen Aktien, Anleihen, Währungen, Rohstoffen, Ländern, geografische Regionen und Anlageklassen.

Begründung:

Momentum trägt maßgeblich zur systematischen nicht-zufälligen Wertentwicklung eines Wertpapierportfolios bei. Momentum ist ein Risikofaktor und kann zu negativen Überraschungen führen. Ein gut diversifiziertes Portfolio kombiniert deshalb Momentum mit dem Risikofaktor Value (Aktien mit hohem Buch- zu Marktwert-Verhältnis). Beide Risikofaktoren laufen gegensätzlich und stabilisieren die Wertentwicklung (negative Korrelation).

Momentum lässt sich auf der Ebene einzelner Aktien durch eine Momentum-bewusste und -sensible Wertpapierhandelstätigkeit erwirtschaften:

Solche Fondsmanager verkaufen Aktien, die ein positives Momentum aufweisen, also tendenziell steigen, und kaufen Aktien, die ein schlechtes Momentum aufweisen, also tendenziell fallen, schrittweise über den Zeitablauf – ohne Druck. Wissenschaftliche passive Aktienfonds, wie sie unsere Vermögensverwaltung einsetzt, wenden dieses Handelsprinzip an.

Indexierende Fonds, wie Exchange Traded Funds (ETF), die aufgrund ihrer Konstruktion Indices sklavisch nachbilden, oder aktive Fonds, die sich wissenschaftlicher Erkenntnis verweigern, erzielen für ihre Anleger die Momentum-Prämie nicht, nur zufällig und nicht dauerhaft.

 

Börsenweisheit: Greife nie in ein fallendes Messer

Richtig!

Diese Börsenweisheit bezieht sich auf den negativen Teil der Weisheit „The trend is your friend“. Aktien, die in der Vergangenheit eine schlechtere Wertentwicklung relativ zu anderen Aktien aufwiesen, tendieren nachweislich dazu, diese schlechtere Wertentwicklung auch zukünftig zu zeigen. Diese Erscheinung wird in der Kapitalmarktforschung als negatives Momentum bezeichnet. Momentum ist für kurze Zeiträume zwischen zwei Monaten und einem Jahr nachweisbar. Momentum findet sich in einzelnen Aktien, Anleihen, Währungen, Rohstoffen, Ländern, geografische Regionen und Anlageklassen.

 

Börsenweisheit: Sell in May and go away – but remember to come back in September

Falsch!

Ja, die Wertentwicklung von Aktien war zwischen Mai und Oktober niedriger als von November bis April. Aus dieser Erkenntnis sollten Sie jedoch keine Schlussfolgerung für die Zukunft ziehen. Denn diesem Zusammenhang fehlt eine logische Begründung. Deshalb ist eine Strategie, die auf diesen Vergangenheitsdaten aufbaut, sogenanntes Data-Mining (Korrelation ohne Kausalität).

Begründung:

Aktien des US-amerikanischen Aktienmarktes erzielten von November bis April eine bessere Wertentwicklung als von Mai bis Oktober.

Dennoch war die Aktien-Wertentwicklung von Mai bis Oktober seit 1926 im Durchschnitt positiv und nicht negativ.

Die Handelsstrategie des „Sell in May and go away“ besteht darin, Aktien im Mai zu verkaufen und bis November zu warten, um diese zurückzukaufen.

Larry E. Swedroe testete diese Strategie über einen sehr langen Zeitraum:

  • Wir kaufen den S&P 500-Index am 1. Januar 1926 und halten diese Position bis zum 30. April, 1926.
  • Am 1. Mai 1926 tauschen wir die Aktienposition des S&P 500 in die 30-Tage US Schatzanweisung (T-Bills).
  • Am 1. November verkaufen wir die T-Bills und reinvestieren den Erlös in den S&P 500

Den Prozess wiederholen wir jedes Jahr im Mai und November und enden schließlich mit den Daten des Oktobers 2012. Die Ergebnisse waren angesichts der Willkür der Idee nicht überraschend:

Von 1926 bis 2012 produzierte die "Sell in May and go away"-Strategie eine annualisierte Rendite von 8,3%. Vergleichen Sie diese Rendite mit einer Kaufen-und-Liegenlassen-Strategie des S&P 500, die eine annualisierte Rendite von 9,8% erreichte! Wenn Sie die Transaktionskosten und steuerlichen Auswirkungen zusätzlich berücksichtigen würden, wären die Nachteile einer „Sell in May and go away“-Strategie noch erheblicher.

Die jüngste Vergangenheit ergab ein ähnliches Bild:

Die folgende Tabelle zeigt die Renditen des S&P 500 für die Mai bis Oktober Perioden seit 2009:

 

Zeitraum

S&P 500-Index Rendite p.a. (%)

Mai 2009-Oktober 2009

20,00

Mai 2010-Oktober 2010

0,70

Mai 2011-Oktober 2011

-7,10

Mai 2012-Oktober 2012

2,20

Mai 2013-Oktober 2013

11,20

 

Die annualisierte Rendite des S&P 500-Index über diese Zeiträume betrug 4,9% p.a., während mit US-T-Bills kaum Erträge zu erzielen waren.

Der Basisgrundsatz des Kapitalmarkts besagt, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen systematischem Risiko und erwarteter Rendite gibt:

Um zu glauben, dass Aktien zwischen Mai bis Oktober dauerhaft für die Zukunft vorhersehbar niedrigere Renditen als Anleihen erzielen, muss man auch glauben, dass Aktien zwischen Mai bis Oktober weniger riskant sind - eine unsinnige Argumentation.

 

Börsenweisheit: Kaufe, wenn die Kanonen donnern (oder: Buy on bad news, sell on good news)

Falsch!

Diese Börsenweisheit kann in einem finanziellen Desaster enden. Dem wohl bedeutendsten Volkswirt, John Maynard Keynes, wird der Ausspruch zugeschrieben, Aktienmärkte können länger irrational bleiben als die individuelle Zahlungsfähigkeit ausreicht.

Begründung:

Die Wertpapierkurse beinhalten zu jedem gegebenen Zeitpunkt alle öffentlich zugänglichen Informationen. Fehlerhafte Preise können entstehen, jedoch in keinem vorhersehbaren Muster aus dem dauerhaft nach Kosten ein Vorteil entstehen könnte. Deshalb sollten Sie Ihre Entscheidung, Aktien zu kaufen oder verkaufen, nicht von Nachrichten abhängig machen, sondern von Ihrer individuellen finanziellen Lebensplanung.

Eine individuelle finanzielle Lebensplanung in Verbindung mit einem wissenschaftlich passiven Investmentansatz bildet die Voraussetzung jeder Anlageentscheidung – und nicht die jeweilige Nachrichtenlage! Allein Ihre objektive (Ihr Können) und Ihre subjektive (Ihr Wollen und Brauchen) Risikotragfähigkeit sollte entscheiden, wieviel Aktien Ihr Wertpapierportfolio verträgt. Nur wenn sich Ihre Risikotragfähigkeit ändert, muss Ihre Aktienquote angepasst werden. Sollte sich Ihre Risikotragfähigkeit aber nicht ändern, passen Sie Ihre Aktienquote erst nach einem größeren Aktienrückgang durch Aktienkauf bzw. nach einem größeren Aktienanstieg durch einen Aktienverkauf auf Ihre als sinnvoll erachtete Aktienquote an (sog. Re-Balancing).

Und die Nachrichten? Die vergessen Sie einfach.

 

Börsenweisheit: Hin und her macht Taschen leer

Richtig!

Hohe Transaktionskosten erhöhten die allgemeinen Kosten einer Vermögensanlage. Da häufiges Umschichten die Wertentwicklung nachweislich nicht verbessert, bleiben allein die Kosten übrig – zu Lasten der zukünftigen Wertentwicklung.

Begründung:

Die Fondsrating-Agentur Morningstar betrachtet Kosten als den entscheidenden Faktor, um die zukünftige Wertentwicklung von Fonds bestimmen zu können – und nicht die Zahl der verliehenen Sterne für die vergangene Wertentwicklung.

Der Nobelpreisträge für Wirtschaftswissenschaften von 1990, William F. Sharpe, begründet, dass Kosten den Unterschied in der Wertentwicklung zwischen einem aktiven mit vielen und einem passiven mit wenigen Transaktionen umgesetzten Investmentansatz ausmachen. Da die Kosten eines passiven niedriger als die eines aktiven Investmentansatzes seien, werden die Renditen einer passiven Vermögensanlage besser sein.

 

Seine Aussage sei unabhängig von jeder Zeitperiode und hängt nur von den Gesetzen der Addition, Subtraktion, Multiplikation und Division ab. Nicht mehr sei erforderlich, so Sharpe.

Je höher die Summe aus ausgewiesenen und nicht-ausgewiesenen Kosten eines Fonds sind, desto schlechter wird die zukünftige Wertentwicklung sein. Leider werden einem Anleger kaum Möglichkeiten gegeben, die tatsächliche Kostenbelastung eines Fonds festzustellen. Die ausgewiesene Gesamtkostenquote (Total Expense Ratio TER) beinhaltet einen wichtigen Teil der Kosten nicht: Die Transaktionskosten des Wertpapierhandels aus Handelsgebühren und Geld-und-Brief-Spannen werden im TER nicht berücksichtigt. So können bei Fonds, die kleine Schwellenländeraktien abdecken, durchaus 3% p.a. zusätzliche nicht ausgewiesene Kosten anfallen.

 

Börsenweisheit: Aktien kaufen und schlafen legen

Meist falsch verstanden!

Kaufen-und-Liegenlassen ist nur ein Teil eines erfolgreichen Investmentansatzes. Überprüfen Sie Ihre tatsächlichen Aktienquoten und falls diese von Ihrer als sinnvoll erachteten Aktienquote Ihres Investmentplans abweichen, passen Sie an (sog. Re-Balancing). Ebenfalls sollten Sie Ihre finanzielle Lebensplanung aktualisieren. Auch dies kann Aktienquoten verändern.

Bei diesen Voraussetzungen können Sie durchaus besser schlafen!

Begründung:

Kaufen-und-Liegenlassen ist die richtige Antwort auf die täglichen Nachrichten und verwirrten Meinungen. Alleine das Kaufen-und-Liegenlassen reicht jedoch nicht für einen erfolgreichen Investmentansatz.

Im Vorfeld jeder Wertpapieranlage sollten Sie eine finanzielle Lebensplanung und einem darauf abgestimmten Investmentansatz erarbeiten. Dabei sollten Sie hellwach sein! Als Ergebnis Ihrer Planung ergibt sich, wieviel an Risiko Sie als Anleger auf sich nehmen können, wollen und brauchen. Diese Risiken werden sich über Ihr Leben verändern. Sie werden diese Planung dann einer erneuten Betrachtung unterziehen müssen. Als Folge werden Sie evt. aktiv und Aktien kaufen oder verkaufen müssen.

Wenn Sie diese Hausaufgaben erledigen, dann können Sie ruhig und besser schlafen!

 

Börsenweisheit: Die Börse ist wie ein Paternoster. Es ist ungefährlich durch den Keller zu fahren. Man muss nur die Nerven behalten!

Meist falsch verstanden!

Aktien sind immer riskant – unabhängig vom Anlagehorizont! Keiner weiß, wie lange eine Durststrecke an den Aktienmärkten dauern kann oder ob nach bereits erfolgten Kurzrückgängen noch weitere Kursrückgänge drohen. Deshalb ist eine finanzielle Lebensplanung, die auch diese Situationen berücksichtigt, wichtig.

Begründung:

Die Aktienrückgänge in 2008 bis Anfang 2009 forderten selbst einen Anleger mit einem stabilen Nervenkostüm heraus. Allein der Verweis auf historische Aktienrückgänge und deren Erholungsphasen, kann einen Anleger, der einen Großteil seiner Altersvorsorge in einem Wertpapierportfolio investiert, nur teilweise beruhigen. Unserer Erfahrung nach ist eine finanzielle Lebensplanung im Vorfeld jeder Anlageentscheidung der Schlüssel, solche negativen Erfahrungen durchstehen. Eine umfassende finanzielle Lebensplanung berücksichtigt die Gesamtheit eines Anlegers aus seinem unternehmerischen Vermögen oder Humankapital, seine illiquiden Vermögensbestandteile aus Beteiligungen und Immobilien und stimmt darauf das liquide Wertpapierportfolio ab.

Eine finanzielle Lebensplanung muss das unvorhergesehene Auftreten von Risiko berücksichtigen:

Die objektive (Können) und subjektive (Wollen und Brauchen) Risikotragfähigkeit sollte entscheiden, wieviel Aktien das Wertpapierportfolio eines Anlegers verträgt. Im Zweifel sollte der Aktienanteil geringer sein als der Anleger Risiko tragen kann, will und braucht. Deshalb setzten wir die Obergrenze bei 50% Aktienanteil und die Untergrenze zwischen 0 bis 20% - niedriger als viele unserer Berufskollegen. Ein Plan B wird ebenfalls angesprochen. Denn nichts ist unbekannter als die Zukunft!

 

Börsenweisheit: Timing ist alles

Meist falsch verstanden!

Timing bei Anlageentscheidungen ist alles – im Nachhinein! Richtiges Timing in der Vergangenheit ist nicht dauerhaft, zuverlässig und vom Zufall unterscheidbar in der Zukunft wiederholbar.

Begründung:

Es gibt keine Analysemethode, die die Zukunft verlässlich, dauerhaft und vom Zufall unterscheidbar vorhersagt. Die Auswahl des besten Fonds, Fondsmanagers oder Gurus - immer der Vergangenheit - hilft nicht, bessere Ergebnisse in der Zukunft zu erzielen. Eine vergangene Wertentwicklung kann für die Zukunft nicht gekauft werden. Auch lange Erfolgsgeschichten der Vergangenheit beruhen auf Glück und Zufall, nicht auf besonderer Intelligenz, Analysetechnik, Erfahrung oder Gefühl für Wertpapiere.

Deshalb ist es die Verliererstrategie, sich mit den Dingen, die man nicht beeinflussen kann, zu beschäftigen. Stattdessen kümmert sich ein erfolgreicher Anleger nicht um das richtige Timing, sondern um die Dinge, die er beeinflussen kann:

  • Die Auswahl der systematischen Risiken eines Wertpapierportfolios abgestimmt auf eine individuelle finanzielle Lebensplanun
  • Verringerung der Kosten und Steuern eines Wertpapierportfolios

 

Datum der ersten Veröffentlichung: 01.09.2014

Datum der Aktualisierung: 01.09.2014

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